Die Stahlindustrie steht unter erheblichem wirtschaftlichen Druck. Diesem Druck kann sie nur standhalten, wenn Wirtschaft, Wissenschaft und Politik kooperieren. Vor diesem Hintergrund hat sich Dirk Panter, Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz, mit Vertretern der Stahlwerke BGH Edelstahl Freital GmbH, BGH Edelstahl Lippendorf GmbH, BGH Edelstahl Lugau GmbH, FERALPI STAHL, Mannesmannröhren-Werk GmbH, GMH – Schmiedewerke Gröditz GmbH, Ervin Germany GmbH sowie der Wirtschaftsvereinigung Stahl und der IG Metall im Freitaler Stahlwerk zum Vierten Sächsischen Stahlgipfel getroffen. Die Teilnehmer bekräftigten, dass sächsischer Stahl eine verlässliche Energieversorgung zu planbaren und wettbewerbsfähigen Preisen benötigt.

Dirk Panter
Wirtschaftsminister Dirk Panter dazu: »Nachhaltiges Wirtschaften, zukunftsorientiertes unternehmerisches Handeln und Investitionsbereitschaft brauchen langfristige Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen. Das ist bislang nicht gegeben. Energieintensive Industrien benötigen eine dauerhafte Netzentgeltdeckelung, wie auch im Koalitionsvertrag des Bundes angekündigt. Die bisher verabschiedeten Einzelentlastungen reichen nicht aus. Eine Kombination aus weiteren Maßnahmen, wie die schnelle Einführung eines Industriestrompreises und eine auf die Bedürfnisse der Unternehmen angepasste Verlängerung der Strompreiskompensation, sehe ich als dringend erforderlich an.«
Ohne sächsischen Stahl kein Fortschritt und kein starkes Europa
Die Stahlproduktion in Deutschland ist rückläufig. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl sank die Rohstahlproduktion von Januar bis August 2025 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um nahezu zwölf Prozent.
Wenngleich Projekte zur Produktion von europäischem grünen emissionsarmen Stahl ins Wanken geraten, bekennt sich die sächsische Stahlindustrie weiterhin zur Transformation. Der Weg dahin ist jedoch steinig und von mehreren Belastungen geprägt. Der Strompreis für die Industrie in Deutschland liegt derzeit auf einem Niveau, das viele Stahlprojekte unwirtschaftlich macht. Unternehmen beklagen zudem die komplexen und langwierigen Genehmigungsverfahren. Die schlechte konjunkturelle Lage, die globalen Handelskonflikte und die Wettbewerbsverzerrung durch Carbon Leakage (Verlagerung von CO2-Emissionen) bremsen Investitionen zusätzlich aus.
Die Teilnehmenden des Vierten Sächsischen Stahlgipfels fordern in einem Positionspapier u.a. (vollständiges Positionspapier zum Herunterladen: siehe unten):
- Verlängerung und faire Ausgestaltung der Strompreiskompensation über 2025 hinaus,
- Einführung eines Industriestrompreises sowie die dauerhafte Deckelung der Netzentgelte,
- Ausbau erneuerbarer Energien und Speichertechnologien zur Stabilisierung von Preisen und Versorgungssicherheit,
- Sicherung und Stärkung inländischer sowie europäischer Lieferketten durch effektive Außenhandelsschutzmaßnahmen (z. B. wirksame Begrenzung der Importe auf ein für die Unternehmen tragfähiges Niveau durch ein WTO-konformes Zollkontingentsystem),
- Carbon-Leakage-Schutz durch bspw. Lückenschluss beim CBAM,
- Effiziente Verwaltung und schnelle Genehmigungsprozesse,
- Förderung von Innovation, Investitionen, Fachkräften und Qualifizierungsmaßnahmen für eine sozialverträgliche Transformation.


Stimmen von Teilnehmern des Sächsischen Stahlgipfels
Wirtschaftsminister Dirk Panter weiter: »Industriepolitik dient schon längst nicht mehr nur der Sicherung von Arbeitsplätzen und Wohlstand. Gute Industriepolitik stärkt die Unabhängigkeit Europas und ist ein Garant für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Frieden. Sie muss bei den Grundstoffindustrien, wie der Stahlindustrie, ansetzen. Dazu gehört einerseits die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung und andererseits der Schutz vor Überkapazitäten zu Dumpingpreisen. Als strategisch langfristig wirksames Handelsschutzinstrument braucht es das von der EU-Kommission Anfang Oktober vorgeschlagene Zollkontingentsystem, mit dem sich Importe an die tatsächliche Bedarfssituation in der EU anpassen lassen.«
Dr. Alexander Grosse, Geschäftsführer der BGH Edelstahl Freital GmbH, und Sönke Winterhager, Aufsichtsratsvorsitzender der BGH Holding, betonen: »Wir als BGH-Gruppe mit unseren Standorten in Sachsen und NRW produzieren hochwertigste Werkstoffe, die in vielen anspruchsvollen Umgebungen Anwendung finden und als systemrelevant gelten. Bei der Herstellung dieser Werkstoffe setzen wir bereits seit vielen Jahren auf eine umweltfreundliche und ressourcenschonende Schmelztechnologie; wir schmelzen recycelten Schrott mit Strom als Energieträger ein. Was wir dringendst benötigen, sind wettbewerbsfähige Energiekosten und Planungssicherheit. Es muss schnellstmöglich gehandelt werden, da wir bereits seit Jahren mit unseren hohen Energiekosten im internationalen Vergleich abgehängt sind. Wenn uns das nicht umgehend gelingt, verlieren wir heimische Produzenten für hochwertige Stahlgüten in systemrelevanten Anwendungsgebieten und somit Wertschöpfungsketten – zum Beispiel in Bereichen der Energietechnik, Medizin, Chemieanlagen und sicherheits- und verteidigungstechnischen Anwendungen. Das kann keiner wollen; daher herrscht dringendster Handlungsbedarf.«

Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, sagt: »Sachsens Stahlwerke stehen für die Innovationskraft und den Gestaltungswillen unserer Branche – doch ohne verlässliche Rahmenbedingungen ist dieser Weg nicht zu halten. Massenhafte Stahlimporte zu Dumpingpreisen, viel zu hohe Energiepreise und überbordende Bürokratie setzen die Unternehmen extrem unter Druck. Hinzu kommt eine generell schwache Konjunktur in zentralen Abnehmerbranchen. Jetzt ist die Politik gefordert, die richtigen Weichen zu stellen: Wir brauchen planbare und wettbewerbsfähige Energiepreise, fairen Handel und klare Impulse, damit die Konjunktur anspringt. Nur dann kann die Stahlindustrie in Sachsen – und Deutschland – auch künftig Motor und Fundament einer starken und unabhängigen europäischen Wirtschaft bleiben.«
Jan Otto, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, fügt hinzu: »Ich begrüße die gemeinsamen Positionen von Politik, Unternehmen und IG Metall als ein wichtiges Zeichen der Geschlossenheit in schweren Zeiten für die sächsische und die gesamte deutsche Stahlindustrie. Die Verunsicherung in den Belegschaften ist angesichts der tiefgreifenden Krise groß. Die Beschäftigten in den sächsischen Stahlunternehmen erwarten jetzt rasch Lösungen, die sie vorm Verlust ihrer Arbeitsplätze schützen. Wir brauchen für die deutschen Stahlwerke faire Wettbewerbsbedingungen durch den längst zugesagten Industriestrompreis, durch einen wirksamen Außenhandelsschutz auf EU-Ebene sowie durch Local-Content-Vorgaben.«
Für ein resilientes Europa: Sachsens Stahlwerke zeigen, wie Transformation geht
Die sächsische Stahl- und Metallindustrie umfasste 2024 ca. 45.900 Beschäftigte in 613 Unternehmen und erwirtschaftete einem Jahresumsatz von 10,5 Milliarden Euro (ca. 13 Prozent des verarbeitenden Gewerbes). 2019 trat Sachsen der Allianz der Stahlländer, einem Zusammenschluss von elf Bundesländern mit ausgeprägter Stahlindustrie, bei.
Stahl ist nicht nur ein zentraler Werkstoff für Bau, Mobilität, Maschinenbau, Energie- und Infrastrukturprojekte – er ist auch strategisch entscheidend für die Widerstandskraft Europas. In Zeiten globaler Lieferkettenunterbrechungen, geopolitischer Spannungen und sich verschärfender Handelskonflikte bildet eine leistungsfähige und in Europa verankerte Stahlindustrie die Basis für sicherheitspolitische und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Gleichzeitig steht die Branche zwischen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und industrieller Transformation. Sachsen kann bereits auf mehrere zukunftsweisende Projekte verweisen, die zeigen, dass der Wandel hin zu grünem Stahl möglich ist. Die sächsische Stahlindustrie ist heute schon Teil einer funktionierenden gelebten Kreislaufwirtschaft.
Erst im Frühjahr 2025 hatte FERALPI STAHL das weltweit erste klimaneutrale Walzwerk eröffnet, und die Schmiedewerke Gröditz GmbH investierten in sogenannte H2-Ready-Öfen, welche perspektivisch Wasserstoff zur dekarbonisierten Stahlbehandlung nutzen. Doch auch in Sachsen lähmen Berichtspflichten und bürokratische Hürden sowie lange Genehmigungsverfahren Investitionsentscheidungen. Hinzu kommt der enorme Wettbewerbsdruck – hervorgerufen durch Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, Handelskonflikte und unzureichenden Schutz vor Carbon-Leakage und nicht zuletzt durch die vergleichsweise hohen Energiekosten hierzulande.

Bilder: SMWA
