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»Martin Dulig | Konkret« – Wie die Großansiedlungen Sachsens Mittelstand fordern und fördern

»Martin Dulig | Konkret« – Wie die Großansiedlungen Sachsens Mittelstand fordern und fördern

Wirtschaftstalk »Martin Dulig | Konkret« erörtert Folgen und Chancen der Milliardeninvestitionen in der Mikroelektronik | Dulig: »Die Investitionen, die wir als Staat tätigen, fließen mehrfach zurück!« | Erstes öffentliches Interview von ESMC-Präsident Christian Koitzsch

Verfügbare Flächen, ausreichend qualifizierte Fachkräfte, eine stabile Facility (Energieversorgung) – diese drei »F«-Faktoren sind die Grundlage für eine erfolgreiche Ansiedlungspolitik und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Sachsen. Die Milliardeninvestitionen der Chipindustrie katapultieren den Freistaat in die Weltspitze der Mikroelektronikbranche – und erhöhen zugleich den Druck auf den Arbeitsmarkt sowie den Ausbau der Wohn-, Bildungs- und Verkehrsinfrastruktur. Deswegen mehren sich im Großraum Dresden auch kritische Stimmen: Der Mittelstand befürchtet die Abwerbung von Fachkräften, die Bevölkerung steigende Mieten und eine angespannte Verkehrssituation. Wie Sachsen die Herausforderungen der Großansiedlungen meistern kann, erörtert Wirtschafts-, Arbeits- und Verkehrsminister Martin Dulig in seinem Wirtschaftstalk auf Youtube. 

Duligs Gesprächspartner aus Wirtschaft und Politik sind diesmal Jan Pratzka, Wirtschaftsbürgermeister der Landeshauptstadt Dresden, Dr. Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, Frank Bösenberg, Geschäftsführer des Halbleiternetzwerks Silicon Saxony, Thomas Horn, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Sachsen, und Tilo Neumann, General Manager des Dresdner Kälte- und Klimatechnikunternehmens Sachsen-Kälte. In Video-Einspielern kommen Dr. Christian Koitzsch, Präsident der geplanten ESMC-Fabrik in Dresden, und Uwe Beier, Geschäftsführer des Moritzburger Robotik-Spezialisten Adenso, zu Wort. Außerdem liefert eine Straßenumfrage ein kurzes Stimmungsbild zur Akzeptanz von Großansiedlungen in Sachsen. Es moderiert Jan Kaufhold.

Koitzsch äußert sich zum ersten Mal überhaupt in einem Interview. Er kündigt den Spatenstich für das ESMC-Werk noch für das zweite Halbjahr 2024 an. ESMC werde monatlich 40.000 Wafer fertigen und etwa 2.000 Mitarbeiter am Standort Dresden beschäftigen. »Wir haben bereits angefangen – das ist uns sehr wichtig –, an der sogenannten Talent-Pipeline zu arbeiten, also die Ausbildung unserer zukünftigen Mitarbeiter voranzutreiben«, sagt Koitzsch. »Zum Beispiel ist unsere erste Kooperation mit der TU Dresden angelaufen. 30 Studenten nehmen an einem Austauschprogramm zwischen Taiwan und Deutschland teil.«

Das dichte Netzwerk aus Fertigung, Forschung, Zulieferern und Dienstleitern in »Silicon Saxony« habe bei der Standortentscheidung für Dresden eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Christian Koitzsch weiter: »Unser Hauptanteilseigner TSMC ist eine stark wachsende Firma. Wir investieren nicht nur in Dresden, sondern auch in Taiwan selbst, in Japan und den USA. Dresden und Europa als Standort war natürlich auch ein Wunsch unserer Joint-Venture-Partner Bosch, Infineon und NXP. Und an Dresden hat uns auch dieses Ökosystem überzeugt: Es ist der größte Mikroelektronikstandort in Europa mit einer entsprechenden Zulieferindustrie, aber eben auch Institutionen wie der TU Dresden, anderen sächsischen Universitäten, Helmholtz und Fraunhofer mit starken Mikroelektronikaktivitäten. Das war am Ende das Paket, das uns überzeugt hat.«

Mit Blick auf das Maßnahmenpaket »EU Chips Act«, das auf einen höheren Anteil Europas an der weltweiten Halbleiterproduktion abzielt, stellt Martin Dulig gleich zu Beginn der Diskussion klar: »Wir subventionieren nicht, wir investieren!« Diese großen Investitionen, mit denen Sachsen seine erfolgreiche Wirtschaftsgeschichte fortschreibe, sollen auch im Kleinen ankommen. »Die Investitionen, die wir als Staat tätigen, fließen mehrfach zurück – durch hohe Einkommens- und Gewerbesteuern, Aufträge und eine wirtschaftlich gute Lage«, so Dulig. Netzwerkchef Frank Bösenberg ergänzt: »Handwerk und Mittelstand sind ein elementarer Bestandteil des Silicon Saxony. Ein Großteil der Milliarden, welche in die Werke fließen, wird weitergegeben an Unteraufträge.« Die Facharbeiterausbildung sei global gesehen nahezu einzigartig und ein Qualitätsmerkmal des Handwerks.

Auch HWK-Geschäftsführer Dr. Andreas Brzezinski betont die Vorteile für Sachsen: »Die Großansiedlungen sind sicherlich eine gute Chance, dass man Wertschöpfung in den Standort hineinträgt, die Produktivität steigt und wir uns in einer starken Internationalität bewegen werden.« Handwerk und Mittelstand würden von Aufträgen, stärkerer Verzahnung und Technologiezugängen für Start-ups profitieren. Unternehmer Tilo Neumann bestätigt: »Die Ansiedlungen sind das Beste, was uns passieren konnte.«

Netzwerk-Chef Frank Bösenberg fordert von der Bundes- und Landespolitik sowohl eine Halbleiterstrategie, »die über eine Wahlperiode hinausgeht«, als auch eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur mit schnellen Verbindungen über Sachsen hinaus: »Das ist keine Dresdner Nummer. Aus globalen Maßstäben befinden wir uns bei Magdeburg um die Ecke, Leipzig ist vor der Haustür. 100 Kilometer dürfen heutzutage keine Entfernung mehr sein, für die ich länger als eine Stunde brauche – egal womit.«

Wirtschaftsbürgermeister Jan Pratzka betont, dass Dresden Herausforderungen wie Wohnungsbau, Entwicklung von Gewerbegebieten und Verkehrsinfrastruktur nicht allein stemmen könne. Man müsse »Region neu denken«. »Es ist ganz wichtig, dass wir gemeinsam mit dem Umland unterwegs sind«, so Pratzka. Ein konkretes Vorhaben, dass den Nahverkehr im Dresdner Norden beschleunigen kann, sei die Verlängerung der Straßenbahnlinie 8 vom bisherigen Endpunkt Hellerau in Richtung der Chipwerke.

Mit Blick auf den Fachkräftebedarf sagt Pratzka: »Wir gewinnen attraktive Arbeitsplätze – und die werden ziehen.« Von der starken, auch internationalen Ausstrahlung der Investitionen erhoffe sich die Stadt Zuzug aus dem Ausland und den alten Bundesländern. HWK-Geschäftsführer Brzezinski befürchtet, dass die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt zunächst zu einer Sogwirkung im direkten Umfeld führt. Die kleinen und mittleren Betriebe dürften nicht hängengelassen werden. »Wir müssen das Thema Zuwanderung schneller angehen«, fordert Brzezinski darüber hinaus. Die Unternehmensvertreter verweisen auf die schon jetzt vorhandene Fluktuation in der dynamischen Branche. Das Netzwerk »Silicon Saxony«, so Geschäftsführer Frank Bösenberg, fuße auf dem Prinzip der »Coopetition« – ein Wechselspiel von Kooperation und Konkurrenz. Und Tilo Neumann von »Sachsen-Kälte« sagt: »Wir müssen uns so gut aufstellen, dass die Mitarbeiter Lust haben auf unser Unternehmen.«

Laut Wirtschaftsminister Martin Dulig wird die demografische Entwicklung die Fachkräftesituation weiter verschärfen. Der sächsische Arbeitsmarkt verliere in den kommenden zehn Jahren rund 400.000 Beschäftigte. Dieses Problem lasse sich aber »nicht mathematisch lösen«. Dulig appelliert an die Arbeitgeber: »Meine erste Botschaft ist: Investiert in die eigenen Leute!« Außerdem führe an Automatisierung und Rationalisierung kein Weg vorbei. Und drittens gelte für die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt: »Hürden senken, schneller in Arbeit vermitteln.« Dulig unterstreicht: »Wir können uns es nicht leisten, auf einen dieser Bausteine zu verzichten.«

Mit Blick auf die grundsätzliche Situation der Wirtschaft sind sich Martin Dulig und WFS-Chef Thomas Horn einig: Die objektive Lage in Sachsen sei weitaus besser als die gefühlte Stimmung im Land. »Sachsen ist ein erfolgreicher Wirtschafts- und Hochtechnologiestandort in der Mitte Europas«, so Horn. Seit der Massenarbeitslosigkeit in den 1990er-Jahren gehe es in der langfristigen Betrachtung »sehr gut, steil und kontinuierlich bergauf«. Minister Dulig fügt hinzu: »Als ich vor knapp zehn Jahren dieses Amt angetreten bin, haben wir noch vom Aufbau Ost gesprochen. Heute diskutieren wir über einen Vorsprung Ost oder – ich sage ganz selbstbewusst – einen Vorsprung Sachsen.«

»Martin Dulig | Konkret« im Podcast

Martin Dulig | Konkret
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