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#ZUKUNFTblog

Bewegende Zeiten – Radverkehr-Interview mit WE RIDE SACHSEN

Bewegende Zeiten  – Radverkehr-Interview mit WE RIDE SACHSEN

Im Juni 2022 kritisierte der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club Sachsen e. V. die Landesregierungund zeigte sich unzufrieden mit den zahlreichen Versäumnissen beim Radverkehr. Die Bilanz: Nur zwei von 15 Projekten des Koalitionsvertrages zum Thema Radverkehr seinen bislang umgesetzt., neun überhaupt nicht angegangen worden. Der Interessenverband der Radfahrenden forderte Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig auf, den Radverkehr zur Chefsache zu erklären. Diese moderne Mobilitätspolitik will Martin Dulig nun für den Freistaat Sachsen voranbringen. Das Fahrrad-Magazin »WE RIDE SACHSEN« hat mit Martin Dulig über die Zukunft des Radverkehrs gesprochen. Im #ZUKUNFTblog haben wir das Interview noch einmal veröffentlicht.

WE RIDE SACHSEN: Hallo Herr Dulig, was für bewegende Zeiten. Wie steht es um das aktuelle Stresslevel eines Verkehrsministers? 

Martin Dulig: Es gibt auf jeden Fall derzeit viel zu tun. Allein wenn ich auf den Bereich Mobilität schaue, stehen wir vor großen der Herausforderungen. Dabei wirken sich viele andere Politikfelder ganz direkt auf Entscheidungen im Bereich Mobilität aus – im Großen z.B. die Energiewende, aber auch im Kleinen, wenn z.B. Schulstandorte zusammengelegt werden und Wege sich ändern und der ÖPNV gebraucht wird.

WE RIDE SACHSEN: Zu Zeiten der herbei geschworenen Verkehrswende, einer Energiekrise und der Klimakrise – welchen Stellenwert hat das Fahrrad in den Planungen ihres Hauses für die kommenden Jahre?

Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig

Martin Dulig: Das Fahrrad hat für uns eine herausragende Bedeutung. Wir wollen den Radverkehr stärken, denn der ist nachhaltig, umwelt- und klimafreundlich, ressourcenschonend und leistet gleichzeitig einen Beitrag zur Gesundheitsförderung und Stadtbelebung. Außerdem ist er ein wichtiger Wirtschaftsmotor und Standortfaktor für Sachsen. Ein wichtiger Indikator dafür ist der boomende Fahrradtourismus im Freistaat.

Gemeinsam arbeiten wir im Ministerium daran, dass das Fahrrad als nachhaltiger Verkehrsträger im Freistaat wahrgenommen wird und weiter an Attraktivität gewinnt. Dazu gehört natürlich, die Radinfrastruktur so auszubauen, dass Radfahrende sicher an ihr Ziel kommen. Nur so kann die Renaissance des Fahrrades gelingen und die Mobilität in Sachsen insgesamt sozialer und nachhaltiger werden.

Besonders auf den so genannten Alltagsdistanzen von bis zu zehn Kilometern verfügt das Fahrrad über große Vorteile, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert: weniger Flächenverbrauch, kein Lärm und keine Emissionen.

Die aktuelle Radverkehrskonzeption ist Grundlage für die Weiterentwicklung des Alltags- und touristischen Radverkehrs in Sachsen. Gemeinsam mit den Akteuren des Radverkehrs in Politik, Verwaltung und Verbänden wollen wir unter dem Motto: »Sachsen. Mobil. Aufs Rad« den Radverkehr in Sachsen voranbringen.

Neben den kommunalen Radwegen bildet der Ausbau von Radwegen an Bundes- und Staatsstraßen einen Schwerpunkt.  Zur Unterstützung der Verkehrswende – also u. a. der stärkeren Nutzung von Fahrrädern – sind auch sichere Abstellanlagen, vor allem an den Verknüpfungspunkten mit dem ÖPNV, erforderlich.

WE RIDE SACHSEN: Der Landesverkehrsplan hat das Jahr 2030 als Zieljahr angegeben? Wie wichtig ist dieses Konzeptpapier? Wo stehen wir da aktuell? Sind Sie mit der Entwicklung zufrieden?

Martin Dulig: Eine moderne Mobilitätspolitik im Freistaat verfolgt das Ziel, die anstehenden Herausforderungen durch einen ganzheitlichen Ansatz zu lösen: verkehrsvermeidend, verkehrsträgerübergreifend, ressourcenschonend und digital vernetzt. Eine zukunftsweisende Mobilitätspolitik rückt die Bedürfnisse des Menschen in den Vordergrund und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. 

Und genau dafür benötigen wir unseren Landesverkehrsplan 2030. Er ist das wichtigste Strategiepapier zur Organisation, Entwicklung und Ausgestaltung der Mobilität im Zeithorizont bis 2030. Er gibt strategische Ziele und Handlungsschwerpunkte vor und beschreibt die erforderlichen Maßnahmen.

Im Unterpunkt Radverkehr gibt der LVP 2030 beispielsweise vor, den Alltagsverkehr und den touristischen Radverkehr als wichtige Elemente einer nachhaltigen, umweltfreundlichen, gesundheits- und erholungsfördernden sowie kostengünstigen Mobilität weiter zu stärken. Der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr soll u. a. erhöht und die Vernetzung verbessert werden. Weitere Themen sind die Umsetzung der Radverkehrskonzeption sowie von Radschnellverbindungen.

Im Radverkehr haben wird bereits einiges erreicht und wollen diesen Weg weitergehen. Allerdings liegt Sachsen in Sachen Radverkehrsinfrastruktur weiter zurück, als andere Bundesländer. Hier müssen wir uns noch stärker engagieren, können das aber nicht allein.

Rad-Magazin »WE RIDE SACHSEN«

WE RIDE SACHSEN: Welche konkreten Projekte stehen in den Startlöchern für den Radverkehr? Worauf können wir uns freuen?

Martin Dulig: Für die Nutzung durch die Radfahrer wollen wir in diesem Jahr den Radweg westlich Bad Muskau (B 115) und den Radweg in Ullersdorf (S 181) freigeben. In den Startlöchern – das heißt Baubeginn – stehen im Jahr 2023 19 Projekte mit Baulängen zwischen 200 Metern und ca. 2,5 Kilometern. Das sind unter anderem: B 169, Anbau eines Geh- und Radweges in und östlich Gröditz (1,0 km), S 46, Neubau geh- und Radweg bei Wachau (0,9 km), S 297, Anbau Geh- und Radweg Neudörfel – Jocketa (2,1 km). Die Erstbeschilderung des touristischen SachsenNetz Rad wird 2023 in den Landkreisen Bautzen und Görlitz begonnen.

WE RIDE SACHSEN: Wie steht es um die Infrastruktur für das potenzielle Fahrradland Sachsen? Sind wir das schon? Wo haben wir Nachholbedarf?

Martin Dulig: In Sachsen besteht ein erheblicher Nachholbedarf bei der Radverkehrsinfrastruktur. Seit ich Verkehrsminister bin, gibt es mit der Radverkehrskonzeption Sachsen einen strategischen Rahmen und Ziele. Doch Planung und Bau eines Radweges sind ebenso aufwendig wie bei einer Straße. Die Vorgaben zu Genehmigungs- und Planungsverfahren, naturschutzfachlichen und naturschutzrechtlichen Vorgaben, Schwierigkeiten beim Grunderwerb und auch der fehlende Planungsvorlauf machen es allerdings tragen dazu bei, dass die Umsetzung länger dauert als wir uns das wünschen. Davon lassen wir uns aber nicht entmutigen und setzen alles daran, um kontinuierlich die Projekte der Radverkehrskonzeption zu realisieren. 

Wir wollen alternative Lösungsansätze für ein attraktives und akzeptiertes Radverkehrsnetz des Alltags- aber auch des touristischen Radverkehrs entwickeln, bei dem die vorhandene Infrastruktur an Straßen und Wegen verstärkt einbezogen wird.

WE RIDE SACHSEN: Wie wichtig ist die Kombination von Bahn und Fahrrad für das Gelingen der Verkehrswende im Freistaat?

Martin Dulig: Drei von fünf Menschen in Deutschland pendeln zur Arbeit. Immer mehr Menschen nutzen dafür Bahn und Rad auf ihren Wegen zur Arbeit, Schule, Ausbildung oder in der Freizeit. Das große Potential dieser multimodalen Wegekette für die weitere Entwicklung des Radverkehrs ist in Sachsen bei weitem nicht ausgeschöpft. 

Da Fahrradstellplätze in der Bahn nur sehr eingeschränkt verfügbar und nicht auf umfangreichen Pendlerverkehr ausgelegt sind, ist die Entwicklung von gesicherten und witterungsgeschützten Abstellanlagen an Bahnhöfen erforderlich. Der Freistaat Sachsen und der Bund unterstützen die Kommunen bei der Entwicklung von Bike&Ride-Anlagen. Die Bike&Ride-Offensive von Bund und Deutscher Bahn AG stellt eine anteilige Finanzierung für Bike&Ride-Anlagen bereit. Um die Herstellung von Bike&Ride-Anlagen in Sachsen maßgeblich zu beschleunigen wird der Fördersatz des Bundes auf einen Gesamtfördersatz von 85 Prozent aufgestockt. 

Leider liegt die derzeitige Inanspruchnahme unter meinen Erwartungen. Wir gehen daher nochmals auf die Kommunen zu und werben intensiv für die Bike&Ride-Offensive.

WE RIDE SACHSEN: Welche Planungen und Ziele gibt es, den Pendlerverkehr nachhaltiger und fahrradfreundlicher zu gestalten? Kann das überhaupt gelingen?

Martin Dulig: Wie bereits eingangs erwähnt, müssen sich für eine gute Radverkehrsinfrastruktur alle Beteiligten engagieren. Neben dem Freistaat und dem Bund sind auch die Kommunen eng eingebunden und gefragt. 

Um den Anteil des Radverkehrs am Pendlerverkehr zu erhöhen, können Radschnellverbindungen einen wesentlichen Beitrag leisten. Radschnellverbindungen sind hochwertige und gut vernetzte Radverkehrsanlagen, die ausschließlich dem Radverkehr dienen und ein durchgängig sicheres und komfortables Fahren mit hohen Geschwindigkeiten ermöglichen.

Da bisher keine Korridore auf systematischer und fachlich einheitlicher Grundlage ermittelt wurden, haben wir zunächst eine Potenzialanalyse erstellt. Dabei wurden elf geeignete Korridore für Radschnellverbindungen identifiziert. Derzeit werden die Machbarkeitsstudien erarbeitet.

Für die geplante Radschnellverbindung Halle – Leipzig ist die Machbarkeitsstudie bereits fertig. Für den sächsischen Teil, den ca. 18 Kilometer langen Abschnitt von Schkeuditz nach Leipzig, liegt die Bewilligung von Bundesmitteln vor, sodass nunmehr die weiteren Planungen beauftragt werden können. 

Bis zur Verkehrsfreigabe wird es jedoch noch dauern, denn die Vorgaben zu Genehmigungs- und Planungsverfahren, naturschutzfachliche und naturschutzrechtliche Vorgaben und der Grunderwerb sind ebenso aufwendig wie beim Straßenbau.

WE RIDE SACHSEN: Wie schlägt man die Brücke zwischen den Menschen, die auf dem Land leben und eher in Richtung KfZ denken und denen, die die Innenstädte in z.B. Leipzig gern autofrei sehen möchten?

Martin Dulig: Es darf nicht darum gehen, diese beiden Gruppen, Auto auf dem Land – autofrei in der Stadt, gegeneinander auszuspielen. Keine der beiden darf sich über die anderen erheben. Ich trete daher klar für ein Miteinander ein.

Fakt ist, wir müssen den Klimaschutz vorantreiben und das muss unser gemeinsames Ziel sein. Das geht, indem wir insbesondere im Verkehrsbereich Emissionen reduzieren, da können verkehrsberuhigte Bereiche in Innenstädten ein Mittel sein. Fakt ist aber auch, dass die Menschen in der Stadt und im ländlichen Raum sehr unterschiedliche Voraussetzungen und Möglichkeiten haben, mobil zu sein.

Auf dem Land sind die Wege oft weit, der ÖPNV und die Radinfrastruktur zumeist schlechter ausgebaut und damit die Abhängigkeit vom Auto natürlich größer. In der Stadt hingegen sind die Wege oft kurz, der ÖPNV und auch die Radinfrastruktur besser ausgebaut und damit ist die Abhängigkeit vom Auto geringer. Deswegen ist entscheidend, möglichst das Beste, sprich klimafreundlichste aus beidem herauszuholen. Genau das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen und denen wir uns stellen – es geht immer um die Bedürfnisse der Menschen, um deren Lebensqualität. Wir wollen den Menschen daher Angebote bei den besonders umweltfreundlichen Verkehrsträgern unterbreiten.

  1. Dazu gehört ein gut ausgebauter ÖPNV auch auf dem Land mit einem PlusBus- und Taktbus-Grundnetz und der Ergänzung durch ein Landbus-Netz mit flexiblen Bedienformen, also zum Beispiel Rufbusse oder Ruftaxis, als Rückgrat der klimaverträglichen Politik. 
  2. Dazu zählt auch die Schieneninfrastruktur mit Stadt-Umland-Verbindungen und schnellen innerstädtischen Verkehren durch Ausbau und Taktverdichtung der S-Bahn-Netze. 
  3. Im Radverkehr soll der Anteil der in Sachsen mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege weiter erhöht werden. Dafür fördern wir den Ausbau des kommunalen Radnetzes mit bis zu 90 Prozent der Kosten und sind damit deutschlandweiter Spitzenreiter! 
  4. Bei neuen Mobilitätsformen wollen wir in Sachsen Vorreiter für klimafreundliche Mobilität, automatisiertes Fahren und für Elektromobilität sein. Der Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur mit hoher Priorität soll vorangetrieben werden. Und natürlich unterstützen wir die Kommunen dabei, zukunftsfähige Mobilitätskonzepte und klimafreundliche Mobilitätsdienstleistungen auf den Weg zu bringen. 

WE RIDE SACHSEN: Vielen Dank für ihre Zeit

Das aktuelle Magazin kann man außerdem im Onlineshop on WE RIDE LEIPZIG erwerben: https://we-ride-leipzig.myshopify.com/products/we-ride-sachsen-magazin-2


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