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Bürokratie vs. Bürokratismus: Martin Dulig und Gäste diskutierten über das richtige Maß an Maßgaben

Bürokratie vs. Bürokratismus: Martin Dulig und Gäste diskutierten über das richtige Maß an Maßgaben

Wie viel Bürokratie brauchen wir? Diese Frage hat Martin Dulig am Dienstagabend in Radebeul mit Professor Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), dem mittelsächsischen Landrat Dirk Neubauer und dem Dresdner IHK-Präsidenten Dr. Andreas Sperl erörtert.

Das richtige Maß an Bürokratie und eine gut funktionierende, schnelle Verwaltung sind für Unternehmen von großer Bedeutung. Das gilt für die bereits existierenden Betriebe ebenso wie für Neugründungen, Unternehmenserweiterungen und -nachfolgen. Rechtssicherheit und verständlich formulierte Gesetze erhöhen die Standortattraktivität und erleichtern es den Unternehmen zu investieren. Dass Bürokratie auch für notwendige staatliche Verwaltungsvorgänge stehen kann, wird von den Unternehmen nicht bezweifelt, jedoch steht die deutsche Wirtschaft derzeit vor enormen Herausforderungen. Dazu zählen die noch immer hohen Energiekosten, die negativen Auswirkungen der geopolitischen Konflikte auf Lieferketten und Handelsbeziehungen, der zunehmende Fachkräftemangel, der sich zu einem Arbeitskräftemangel entwickelt sowie die im internationalen Vergleich hohen Steuerbelastungen und noch immer kaum umgesetzte Beschlüsse bei den Initiativen für ein höheres Tempo bei Verwaltungsprozessen.

Vor diesem Hintergrund hat das SMWA am 21. Mai einen Diskurs zum Thema »Wie viel Bürokratie brauchen wir?« veranstaltet. Martin Dulig erörterte diese Frage im Tagungszentrum der sächsischen Wirtschaft in Radebeul mit folgenden Gästen:

  • Professor Reint Gropp, Präsident Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
  • Dirk Neubauer, Landrat des Landkreises Mittelsachsen
  • Dr. Andreas Sperl, Präsident der IHK Dresden

Zusammenfassung der Diskussion

Der Wirtschaftsforscher Reint Gropp bezeichnete eine überbordende Bürokratie als größtes Investitionshemmnis. Als Beleg führte er eine Studie der Weltbank an, wonach Deutschland bei den Rahmenbedingungen für Firmengründungen lediglich den 125. Platz unter 190 Ländern einnehme. »In der deutschen Bürokratie geht es darum, dass alle Regeln bis zum letzten Buchstaben erfüllt werden«, sagte Gropp und schlussfolgerte: »Der Staat fordert sehr viel, aber er leistet nicht mehr so viel. Deshalb wird Bürokratie anders wahrgenommen.« Bei der Bürokratieentlastung handele es sich nicht um ein technisches Problem, sondern ein Einstellungsproblem.

Dirk Neubauer betonte, Bürokratie könne zu Wut und einem »Ohnmachtsgefühl« führen, das die Demokratie gefährde. »Ein Großteil dieser Wut ist das Gefühl, nichts mehr bewegen zu können«, sagte der mittelsächsische Landrat und stellte eine kontroverse These auf: »Der Staat pflegt ein Misstrauensverhältnis zu seinen Bürgern!« Um diesen Zustand zu überwinden, forderte Neubauer erstens eine »Vertrauensoffensive« der Verwaltung, zweitens den Mut, Dinge zu vereinfachen und grundsätzlich in Frage zu stellen, und drittens ein anderes »Mindset« der Entscheidungsträger.

Neubauer drängte auf eine Strategie für den Abbau von Bürokratie und verwies wiederholt auf Estland. Der kleine Staat im Baltikum (rund 1,4 Millionen Einwohner) sei ein Vorbild für eine schlanke, bürgernahe und effektive Verwaltung aus einer Hand. Für alle Dienstleistungen sei nur ein Datensatz je Einwohner erforderlich, was zum Beispiel im Fall von Umzügen den Aufwand für Ummeldungen reduziere. Zudem bringe jedes digital bearbeitete Anliegen der Bürger eine Zeitersparnis von 15 Minuten, was in der Summe einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen ergebe.

Der Dresdner IHK-Chef und ehemalige Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke GmbH Andreas Sperl bekräftigte den Wert einer funktionierenden Bürokratie: »Wir brauchen einen gewissen Regulierungsrahmen, damit Staat und Wirtschaft überhaupt funktionieren. Niemand hat etwas gegen Regeln, die den Wettbewerb und das unternehmerische Handeln fairer machen. Das ist Bürokratie im positiven Sinne. Das Gegenteil ist Bürokratismus.« Dieser wirke gerade auf junge Talente abschreckend. »Das bereit uns Sorgen«, so Sperl weiter. Grundsätzlich ermuntere die IHK ihre Mitglieder, »aktive Unternehmer zu sein« und sich in die Diskussion um Bürokratieabbau einzubringen.

Auch Martin Dulig unterstrich zunächst den Nutzen der Bürokratie. Sie garantiere Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, was alles möglich sei. In diesem Zusammenhang nannte der Minister den pragmatischen Umgang mit Homeoffice und die zügige Auszahlung der Coronahilfen. Darüber hinaus sei die Einführung des Deutschlandtickets ein erfolgreiches Beispiel für bürgernahe Entscheidungen von Bund und Ländern. Als sächsisches Referenzprojekt benannte der Minister den Weiterbildungsscheck: Die digitalisierte Antragstellung führe zu einem Bescheid innerhalb von 24 Stunden: »So stelle ich mir das vor!«

In der täglichen Praxis erlebe er eine andere Wahrnehmung der Bürger, sagte Dulig. Bürokratie werde als »Gefühl und Schlagwort für permanente Gängelung« empfunden. Wie kann es also gelingen, dieser Wutdefensive mit einer Mutoffensive zu begegnen und die Misstrauenskultur durch eine Ermöglichungskultur abzulösen? Martin Dulig setzt auf die weitere Digitalisierung in der Verwaltung und insbesondere auf eine von Mut statt Absicherung geprägte Führungs- und Fehlerkultur. Diese müsse flexiblere und schnelle Entscheidungen ermöglichen und den Führungskräften gleichzeitig Rückendeckung und Rechtssicherheit in schwierigen Entscheidungsprozessen geben. Grundsätzlich sei der Bürokratieabbau eine Gemeinschaftsausgabe von Verwaltung und Wirtschaft – aufeinander zugehen statt abwarten. Dulig: »Es gibt nicht denjenigen, der anfängt. Wir dürfen nicht aufeinander warten.« Jeder solle in seinem eigenen Kompetenzbereich prüfen, was er zur Annäherung beitragen kann.


Foto, von links nach rechts: Alexandra Gerlach (Moderation), Dr. Andreas Sperl, Martin Dulig, Professor Reint Gropp, Dirk Neubauer | Bildrechte: SMWA


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