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Wie man sich einen Tarifvertrag erkämpft – ganz ohne Streik – Interview mit Michael Müller, Betriebsratsvorsitzender der SKS Kontakttechnik Niederdorf

Wie man sich einen Tarifvertrag erkämpft – ganz ohne Streik – Interview mit Michael Müller, Betriebsratsvorsitzender der SKS Kontakttechnik Niederdorf

Auf der Betriebsversammlung der SKS Kontakttechnik GmbH am 10. März 2023 verkündete der Betriebsratsvorsitzende Michael Müller den Beschäftigten einen gelungenen Haustarifabschluss: »Über 400 Euro mehr Gehalt allein in den unteren Entgeltgruppen, also eine Erhöhung des Stundenlohns von reichlich 2 Euro sind ein starkes Ergebnis. Im Durchschnitt steigen die Gehälter innerhalb der Laufzeit um immerhin 17 Prozent.« Damit profitieren über 600 Beschäftigte der Phoenix-Contact-Gruppe am Standort Niederdorf. Davon zeigte sich auch der anwesende Wirtschafts-, Arbeits- und Verkehrsminister Martin Dulig bei seinem Besuch begeistert.

Martin Dulig: »Die Arbeit der Betriebsräte ist hier wesentlich. Ohne starke Mitbestimmung wäre es nicht möglich gewesen, innerhalb weniger Monate einen solchen Haustarif einzuführen. Ich wünsche mir, dass der Tarifvertrag Signalwirkung hat und andere Unternehmen nachziehen. Attraktive Arbeitgeber haben definitiv bessere Chancen, ihre Beschäftigten zu halten und neue zu finden. Zufriedene Beschäftigte sind die beste Werbung.«

Wir wollten es genauer wissen und haben Betriebsratsvorsitzenden Michael Müller um ein Interview gebeten:

#ZUKUNFTblog: Herr Müller, seit kurzem gibt es für die Beschäftigten der SKS Kontakttechnik GmbH einen Tarifvertrag. Wie haben Sie das geschafft?

Michael Müller: Nach erfolgreicher Betriebsratswahl 2021, dachten wir als Gremium, da ist sicher mehr drin und sprachen konsequent Kolleginnen und Kollegen an, um sie für gewerkschaftliches Engagement zu gewinnen. Dabei klärten wir Sie auf, welche Arbeitsbedingungen in den alten Bundesländern vorherrschen und es an der Zeit ist, hier eine Anpassung einzuleiten, um diesen Abstand abzubauen. So konnte innerhalb von zehn Monaten der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 3 Prozent auf über 60 Prozent gebracht werden und die Arbeitgeberseite zu Tarifgesprächen aufgefordert werden. All dies unter Corona-Bedingungen. Da wir uns als Betriebsrat im Unternehmen mehrmals erfolgreich als konfliktfähig bewiesen haben, wurde auch von der Geschäftsführung dieses Thema mit der notwendigen Priorisierung angenommen.  

#ZUKUNFTblog: Welche Unterstützung hatten Sie?

Michael Müller: Zuerst natürlich die meiner Kolleginnen und Kollegen. Nur durch ihre Bereitschaft in die IG Metall einzutreten, konnte überhaupt der für den Fall der Konfliktaustragung erforderliche Organisationsgrad erreicht werden. Klar, dass ohne die Unterstützung der Gewerkschaft selbst ein Tarifeinstieg auch nicht gelingen kann. Ich möchte aber betonen, ohne die entsprechende Verhandlungsbereitschaft der Arbeitgeberseite wäre ein so guter Haustarifeinstieg nicht gelungen, von daher kann selbst unser Arbeitgeber als Unterstützer der Tarifeinführung anerkannt werden.  

#ZUKUNFTblog: War es ein schwieriger bzw. langer Prozess?

Michael Müller: Anfangs, nachdem die betrieblichen Voraussetzungen geschaffen waren und die IG Metall den Einstieg in die Verhandlungen gefordert hatte, kam es Corona-Bedingt immer wieder zu Verzögerungen. Nach Lockerungen Mitte vorigen Jahres nahmen die Gespräche sehr schnell konkrete Züge an. Von daher möchte ich sogar behaupten, der Prozess ging schneller als erwartet. Anderseits musste in unserem Betrieb erst ein Eingruppierungssystem etabliert werden. Da war es unsere Willensstärke und durch Schulungen erlangten fundierte Kenntnisse, die den nötigen Drive in die arbeitgeberseitige Eingruppierung brachten. Hier zeigten sich klar die Vorteile der betriebsverfassungsgesetzlichen Mitbestimmung.

#ZUKUNFTblog: Welche konkreten Vorteile sehen Sie für die Beschäftigten und das Unternehmen durch den Tarifvertrag?

Michael Müller: Entgegen der bisherigen Situation sorgt unser Tarifvertrag und das Eingruppierungssystem für mehr Transparenz und fördert die Gleichstellung. Natürlich war der Anspruch der Tarifgespräche von vornherein, die Gehälter der Beschäftigten zu steigern. Schließlich ist es auch an der Zeit, die Lohnlücke zwischen den neuen und alten Bundesländern zu schließen. Gerade für unser Erzgebirge ist es wichtig, aus der Rolle des Niedriglohnlandkreises Deutschlands herauszutreten. Deshalb wünsche ich mir, dass weitere Belegschaften in unserer Region unserem Beispiel folgen.

#ZUKUNFTblog: Welches Bild haben Sie von der Zukunft der Arbeit?

Michael Müller: Durch den demographischen Wandel und der Transformation wird zunehmend automatisiert und digitalisiert werden und vielleicht sogar müssen. Auch KI wird nach und nach eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Menschengefüllte Fabrikhallen gehören jedenfalls, wie man sieht, zunehmend der Vergangenheit an.

#ZUKUNFTblog: Was löst das Thema Digitalisierung unter den Beschäftigten und innerhalb der Gewerkschaft aus? Fürchten Sie, dass menschliche Arbeit immer stärker ersetzt wird? Oder sehen Sie es als Chance?

Michael Müller: Ich bin mir sicher, hier gehen altersabhängig die Meinungen stark auseinander. Ganz klar, dass die jüngere Generation aufgeschlossener gegenüber der Digitalisierung ist. Auf jeden Fall ist es die Technologie unserer Zeit und sie wird in allen Bereichen zunehmend eine Rolle spielen. Auch in der Gewerkschaftsarbeit findet hier gerade ein Umbruch statt, wie z.B. Umfrageapps und auf Betriebe zugeschnittene soziale Netzwerke, ähnlich Facebook, zeigen. Aber es bestehen auch Risiken, wie zum Beispiel die Datensicherheit oder Cyberkriminalität. Hier haben wir als Betriebsräte auch eine wichtige Funktion, denn digitale Medien machen Leistungs- und Verhaltensauswertung wie jeder wissen sollte sehr einfach. Dass Arbeitsplätze im Zuge der Digitalisierung wegfallen, glaube ich in diesem Zusammenhang nicht.  

#ZUKUNFTblog: Der Organisationsgrad der Beschäftigten in Sachsen ist sehr niedrig. Was glauben Sie, spielt Solidarität auch künftig eine Rolle?

Michael Müller: Wie ich an unserem Betrieb zeigen kann, ist es nach meiner Meinung wichtig, dass sich die Beschäftigten gewerkschaftlich organisieren. Es sind bestimmt sehr wenige Arbeitgeber, die freiwillig die Gehälter ihrer Beschäftigten auf das Niveau tarifgebundener Betriebe in den alten Bundesländern heben werden. Eher sind Unternehmer nüchterne Rechner, die knallhart kalkulieren. Hier hilft kein Kritisieren der Einkommenssituation in Sachsen gegenüber der Politik, sondern nur die gemeinschaftliche gewerkschaftliche Betätigung. Die Wende ist nun 33 Jahre her, Zeit die Gehaltslücke zu schließen. Jetzt.  

Betriebsratsvorsitzender Michael Müller (Mitte neben Minister Dulig) mit Kolleg*innen und
Geschäftsführung

Michael Müller, 43, verheirateter Familienvater, ist gelernter Büchsenmacher und seit 2011 bei SKS Kontakttechnik GmbH in Niederdorf als Werkzeugmechaniker beschäftigt. Um Betriebsratswahlen im Betrieb zu initiieren, fiel 2020 sein Entschluss, der IG Metall beizutreten. Damit bekam er die erhoffte Unterstützung bei der Wahlvorbereitung.


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